Die Musik
Der Gedanke, in einem von Stacheldraht und Bluthunden umgebenen Lager eingesperrt zu sein, gehört zum Schlimmsten, was ich mir vorstellen kann.
Der Solinger Maler und Künstler Ernst Walsken musste dieses Schicksal erleiden. Von ihm stammen die wenigen Zeichnungen, die den Lageralltag in den Konzentrationslagern Esterwegen und Ascherdorfermoor darstellen und zu zeitgeschichtlichen Zeugnissen wurden.
Wer kann für sich in Anspruch nehmen, er hätte verstanden, wie es sein konnte, dass eine menschliche Gesellschaft derart brutalisiert wurde wie unter den Nationalsozialisten? Propagandistische Mechanismen wurden in Gang gesetzt, die das Mitgefühl für andere Menschen komplett ausschalteten. Technologien wurden entwickelt, die die millionenfache Vernichtung möglich machten. „Schreibtischtäter“ organisierten den Ablauf und stritten hinterher ab, Täter gewesen zu sein; ganz im Gegenteil, sie stilisierten sich später zum „Opfer der Befehlsstrukturen“.
Der berühmte Regisseur Wolfgang Langhoff wurde wegen seiner politischen Aktivitäten 1933 ins KZ Börgermoor im Emsland verbracht. Dort überarbeitete er im August 1933 einen Text von Johann Esser zum später weltberühmt gewordenen „Moorsoldaten“-Lied. Die Melodie komponierte der Mithäftling Rudi Goguel. Überliefert ist, dass sogar die SS-Wachsoldaten die letzte Strophe des Liedes bei der Uraufführung im August 1933 mitgesungen haben:
Doch für uns gibts keine Klagen,
ewig kanns nicht Winter sein.
Einmal werden froh wir sagen:
Heimat, du bist wieder mein.
Dann ziehn die Moorsoldaten
nicht mehr mit dem Spaten
ins Moor.
Schon in frühester Jugend begegnete mir das Lied der „Moorsoldaten“, da es in der DDR zum Liedgut im Schulunterricht gehörte. Mit seiner sehnsuchtsvollen Grundstimmung und dem – trotz der widrigsten Begleitumstände – unverbrüchlichen Glauben an die Freiheit faszinierte mich das Lied bereits als junger Mensch. Den Widerspruch zwischen dem angeblich antifaschistischen Staat DDR und seinen zum Teil faschistoiden Methoden der Überwachung und des Wegsperrens Andersdenkender lernte ich allerdings auch früh zu verstehen und zu verachten.
Das beeinträchtige jedoch nicht die Faszination, die das „Moorsoldaten“-Lied auf mich ausübte.
Dieses Lied oder besser: seine musikalisch-ästhetische Beschaffenheit bilden eine der Bestandteile meiner Musik zu Warten auf die Freiheit. Der Wechsel zwischen Dur- und Moll-Akkorden und die leicht eingängige Melodie bieten reichlich Stoff für komponierte und improvisierte Musiken, die einen Rahmen für das Schauspiel und die bildlichen Projektionen schaffen. Die Musiken begleiten, kommentieren und lassen die Szenerie musikalisch nachklingen.
Als ich begann, mich näher mit der musikalischen Struktur von „Moorsoldaten“ zu beschäftigen, fiel mir auf, dass darin auch eine große Nähe zu Beethovens 7. Sinfonie, speziell zum 2. Satz, dem Allegretto, zu finden ist. Ähnliche Harmoniewechsel und eine melancholische Grundstimmung wie im Moorsoldatenlied, also bietet sich auch hier eine Vielzahl von Anregungen und Inspirationen: Trauer, Verzweiflung, aber auch Hoffnung und der Glaube an das Gute im Menschen.
Das Instrumentarium, welches zum Einsatz kommt: Klavier, Querflöte und Altsaxophon.
Weitere musikalische Elemente werden über elektronische Mehrkanaltechnik live erarbeitet und bilden die Grundlage für Live-Improvisationen.
Das „Moorsoldaten“-Lied werden wir als Ganzes und in der Originalmelodie mit Gesang und Klavier interpretieren.
Herbert A. Mitschke
Komponist und Musiker