
Ernst Walsken
als junger Mann
Biografische Notizen
Ernst Walsken wird am 27.12.1909 in Solingen als Sohn eines Messerreiders geboren. Er hat vier Geschwister. Er lernt auf Druck seines Vaters die Handwerke Reider und Anstreicher. Schon auf der Fachschule beginnt er zu malen und zu zeichnen. Auf Anregung seines Freundes Joh. August Preusse (gestorben 1942 in der UdSSR), einem Meisterschüler von Paul Klee, bewirbt er sich 1932 an der Kunstakademie Düsseldorf und wird immatrikuliert. Dort studiert er unter anderem bei Prof. Schmurr, bis zu seiner Relegation, die aus politischen Gründen nach dem Sommersemester 1934 erfolgt. Danach arbeitet er als Selbstständiger im gelernten Malerhandwerk.
Hervorgegangen aus der Evangelischen Jugendbewegung, wendet er sich früh – auch in Auseinandersetzung mit Kubismus und Bauhaus – der sozialistischen Linken zu. 1933 gründet er zusammen mit Freunden eine lokale, illegale Zeitschrift, in der verschiedene politische Strömungen der Gegner des Nationalsozialismus zu Wort kommen. Ins Ausland emigrierte Freunde (besonders Künstler) ermöglichen Verbindungen zu gleichartigen Gruppen in anderen Städten. Hieraus entwickelt sich eine selbstständige Widerstandsgruppe im Rhein-Ruhr-Gebiet, die sich Informationen aus dem Ausland beschafft, diese verbreitet und sich vorbereitet auf den ersehnten Sturz des Hitler-Regimes. Durch eine Fahrradfahrt nach Amsterdam 1934 organisiert Ernst Walsken den Transport von verbotenen Schriften ins Reich. Im November 1935 wird er auf Grund einer wohl unter Folter getanen Aussage eines Freundes vom Niederrhein in Solingen verhaftet.
Nach verschiedenen Untersuchungsgefängnissen und Zuchthäusern (zuletzt Herford) und dem Prozess wegen Vorbereitung zum Hochverrat am 20. Juli 1936 vor dem OLG in Hamm, wird er 1937 in einer der ersten Gruppen von Transporten in das wieder eröffnete Straf- und Arbeitslager Esterwegen verbracht. Im gleichen Jahr erneute Verlegung nach Aschendorfermoor. Hier entstehen die meisten der Bilder, die in diesem Buch zu sehen sind. Die Verhältnisse in diesen Arbeitslagern im Moor sind denen von Konzentrationslagern sehr ähnlich. Die Häftlinge müssen sich meist im Laufschritt bewegen, es gibt stundenlange Appelle in unzureichender Kleidung auf dem Hof, sie sind alltäglicher Gewalt und ständigem Anschreien ausgeliefert, ihr Leben ist ständig bedroht, es gibt zu wenig und schlecht zu essen. Die Arbeit besteht aus Torfstechen im Moor, was bedeutet, dass man hüfthoch in Gräben mit kaltem Moorwasser mit dem Spaten große Stücke nassen Torfs ablösen und aufs Trockene werfen muss. Später wird Ernst Walsken im Lager als Anstreicher eingesetzt. Bei dieser Gelegenheit kann er sich die Grundstoffe zur Herstellung von Aquarellfarben verschaffen.
Im Lager sind die politischen und anderen nicht-kriminellen mit den kriminellen Häftlingen zusammen eingesperrt. Die Politischen wiederum gehören verschiedenen politischen Richtungen an. Es gibt zum Beispiel Sozialdemokraten, Kommunisten, Zentrumsleute, Anhänger der Bekennenden Kirche. Ernst Walsken ist Trotzkist („Linke Opposition“) und daher den Anfeindungen der traditionellen Kommunisten ausgesetzt. Er sagte mir, auch aus diesem Grunde sei das Lagerleben gefährlich gewesen, nicht nur wegen der Nazischergen. Freunde fand er in erster Linie unter den verfolgten Christen. Er tritt, auch um sich selbst zu schützen, während der Lagerhaft wieder in die Kirche ein, wird aber nie praktizierender Christ.
Im November 1939 wird er aus der Haft entlassen. 1941 Heirat mit Adele Walsken, geborene Gottschalk. (Der Standesbeamte weigerte sich zunächst, weil sein Großvater einen jüdischen Vornamen hatte, Isidor. Mein Vater erwiderte darauf, dass das Amt seine jüngere Schwester schon verheiratet hatte.) Trotz Ausschließungsscheins von der Wehrmacht wird er über ein Jahr später, im November 1942, in das „Bewährungsbataillon“ 999 auf den Heuberg (Schwarzwald) einberufen, das eigens für die „Ausgeschlossenen“ gebildet worden war. Nach zwei Wochen Drill erfolgt die Verlegung nach Antwerpen, dann nach Nîmes und dann nach Neapel. Am 14. April 1943 geht es zum Kriegseinsatz nach Tunesien.
Nach wenigen Tagen desertiert er und entflieht zusammen mit etlichen jüngeren Rekruten und mit selbst gebastelten weißen Fahnen, geschützt durch die Wadis, die trockenen Bachläufe als natürliche Gräben, in Richtung englische Armee. Die Gewehre hat man vorher weggeworfen. Er sagte, er hätte weder für die Nazis auf andere Menschen schießen noch sich für sie totschießen lassen wollen. Im KZ hatte er in kluger Voraussicht Englisch gelernt, das er jetzt brauchen konnte. Am 28. April erfolgt die Gefangennahme durch die US-Armee, am 31. Mai ist die Ankunft in New York.
Das erste Gefangenenlager, in das er eingewiesen wird, ist Huntsville, Texas. In diesem Lager ist noch 1943 die Mehrheit der Gefangenen von Endsieg und Naziherrschaft überzeugt. Sie bilden eine regelrechte Lagergestapo und schaffen eine lebensbedrohliche Situation für die Nazi-Gegner. Aus diesem Grund errichtet die amerikanische Regierung Anti-Nazi-Lager. Ernst Walsken wird, zusammen mit Anderen, aus Huntsville in eines dieser Lager verlegt, zunächst, noch 1943, nach McCain am Mississippi, und 1944 nach Fort Devens (Massachusetts). Hier kann er seine künstlerische Tätigkeit wieder aufnehmen. Er hat ein Atelier und unterrichtet an der Lagerschule. Es entstehen hunderte Gemälde, die er mit der Post nach Hause schickt. Er malt Porträts von amerikanischen Offizieren, die diese behalten können. Er nimmt intensiv am Leben des Lagers teil und arbeitet an einer Lagerzeitung mit. Dort geht es ihm gut.
Im November 1945 kehrt er nach Solingen zurück. Trotz weitestgehender Zerstörung der Stadt organisiert er 1946 die erste Kunstausstellung nach dem Krieg. Er besorgt von der englischen Militärverwaltung Fensterscheiben für die Ausstellungsräume. Dann kommen politische Aktivitäten, er tritt in die SPD ein. Er eröffnet ein Geschäft mit Malerbedarf, Tapeten, Teppichen. Er produziert hochproduktiv Gemälde und Zeichnungen, die drei Kinder kommen zur Welt.
Nach dem Krieg ist er voller Hoffnung, dass ein politischer Neuanfang möglich ist. Die Zeichen stehen scheinbar auf demokratischen Sozialismus. Er will daran mitwirken, die Herrschaft von Menschen über Menschen zu beenden. Er ist ein scharfer Kritiker rechtslastiger und stalinistischer Positionen. Das sind die einzigen Anlässe, wo er als ansonsten ausgesprochen höflicher, ruhiger und beherrschter Mensch außer sich geraten kann.
Er engagiert sich gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland. Es soll nie wieder Krieg von Deutschland ausgehen. Als die SPD schließlich im Bundestag der Wiederbewaffnung zustimmt, tritt er aus ihr aus und bleibt anschließend zeitlebens parteilos. Stets jedoch ist er engagiert und steuert in öffentlichen Veranstaltungen kenntnisreiche Redebeiträge bei.
Ist er für die einen jemand, der es in der Nazizeit geschafft hat, keine Schuld auf sich zu laden, ja für einige sogar eine Art Held, der damit bescheiden umgeht, ist er für andere immer noch ein Verräter, ein ehemaliger Häftling, den man schneidet. Er bekommt dieses Ressentiment deutlich zu spüren, und er leidet daran, auch wenn er die Träger des Ressentiments politisch ablehnt. Seine Frau, einige Künstler und seine politischenFreunde sind die wichtigsten Stützen. Er ist Mentor für viele jüngere Künstler und fördert sie nach Kräften.
Im Jahre 1961 organisiert er eine erste private Ausstellung der Moorsoldatenbilder. Er mietet ein Ladenlokal an und wirbt mit Plakaten, die er selbst entworfen hat. Zu seiner großen Enttäuschung findet die Ausstellung fast keine Beachtung. Es erscheint nur ein Zeitungsartikel in der NRZ. Er sieht seine Befürchtungen bestätigt, dass keiner etwas von der Nazizeit wissen will, ja dass er selbst mit seiner Lebensgeschichte abgelehnt wird. Er braucht eine Zeit, um sich davon zu erholen.
Ernst Walsken ist seit Gründung Mitglied im Verein Solinger Künstler, zeitweise dessen Vorsitzender. Er widmet sich, besonders seit seiner Pensionierung 1979, hauptsächlich der Malerei und dem Zeichnen. Er stellt seine Gemälde in der Bergischen Kunstausstellung und in den ausländischen Partnerstädten Solingens aus. Es gibt Einzelausstellungen. Er wird von Schulen eingeladen, hält dort Vorträge über die Zeit im Lager. In den letzten Jahren bis 1987 gibt es eine Reihe von Ausstellungen der Werke aus den Moorlagern im In- und Ausland, die Ernst Walsken mit Vorträgen und Diskussionsbeiträgen begleitet. Unter anderem 1983 eine Ausstellung im Goethe-Institut in Marseille, 1987 in Westerbork in den Niederlanden, dem Sammellager für die Transporte der holländischen Juden in die Vernichtungslager.
Dort kann er schon nicht mehr auftreten, denn kurz zuvor im Jahr 1987 erleidet Ernst Walsken einen Schlaganfall, von dessen Folgen er sich nicht wieder erholt. Er stirbt 1993, bis dahin liebevoll gepflegt von seiner Frau, meiner Mutter.
Die Werke aus den Emslandlagern gehen an das Dokumentations- und Informationszentrum (DIZ) in Papenburg, wo sie seither als Dauerausstellung zu sehen sind. Die Vorbereitung der Gründung des DIZ hat er noch begleiten können.
Wie viele Menschen, die Opfer unmenschlicher Leiden wurden, konnte mein Vater viele Jahre lang über die Erfahrungen im Lager nicht sprechen. Die körperlichen und psychischen Folgen der KZ-Haft hatten ihn gezeichnet. Die politischen Vorgänge der Fünfziger Jahre mit der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik und der Rückkehr vieler Nazis in mehr oder weniger hohe öffentliche Ämtern von Staat, Politik und Wirtschaft entsetzten, ängstigten und bedrückten ihn zusätzlich. Er litt unter der Restauration der Adenauerzeit, die Hoffnungen auf eine neue Gesellschaft rückten in die Ferne. Seine Gemälde wurden in dieser Zeit immer kleiner und düsterer. Erst in den frühen Siebziger Jahren konnte er endlich beginnen über seine Erfahrungen zu sprechen.
Er sagte, erst zu dieser Zeit sei eine neue Generation bereit gewesen zuzuhören und nur Zuhörer produzieren Erzähler. Aber auch er selbst war erst nach drei Jahrzehnten in der Lage Worte zu finden. Er dramatisierte oder heroisierte nichts. Das schlimmste Grauen, die schlimmsten Quälereien beschrieb er nicht. Ähnlich wie in den Bildern.
Wenn man ihn fragte nach der Zeit im KZ, nach seinen Erfahrungen, nach seinen dort entstandenen Werken, den Bildern in diesem Buch, dann sagte er, manchmal glaube er, er habe diese Zeit im Traum erlebt und alle diese Bilder im Traum geschaffen, im Traum.
Gerhard R. Walsken