Ernst Martin Walsken

Über meinen Vater

Ich möchte nur einen Zeitabschnitt beschreiben, den ich erlebt habe. 1965 bis 1974. Da war ich 17,  Eintritt ins Berufsleben,  drei Jahre Ausbildung (heute nennt man das Bachelor)  mit Eintritt in Gewerkschaft und Partei. Nehmen wir die Zeitspanne bis 1974, als Schmidt Kanzler wurde nach dem Sturz von Brandt. Eine wichtige Phase für ihn und für mich. Merkwürdigerweise fand das Schweigen der Mehrheit („Ich habe nichts gewusst“) seine Äquivalenz im Schweigen der Widerständler („Wir wollen dich damit nicht belasten“). Mein Vater hat sich für meinen Werdegang nicht sonderlich interessiert. Eine kurze Aktivität mit Besuch bei der Berufsberatung und der Entscheidung, weiter in die Schule zu gehen. Das war alles, an das ich mich erinnere. Mein Bruder hatte ungerechtfertigte Probleme mit der Justiz, da hat er sich richtig engagiert. Was mir sehr imponiert hat. Gott sei Dank ist da ja alles gut ausgegangen. Ich denke, mein Vater hat in der Adenauer-Ära unter mangelnder Anerkennung gelitten (lange Kämpfe um Wiedergutmachung, Schweigen der Mehrheit-Verdrängung) und war mit sich selbst und der Verarbeitung seiner Erlebnisse beschäftigt.  Politisch war das natürlich eine hochinteressante Zeit – und mein Vater hat ja gemalt, gearbeitet (er war in diesem Punkt voller Verantwortungsgefühl für die Familie) und war immer politisch.  Nach Brandts Wahlerfolg und seinen ersten Kontakten zum Emsland ist er aufgelebt. Eine neue Generation wollte das Schweigen der Eltern ja nicht mehr hinnehmen. Die Verschlossenheit des nicht rehabilitierten Widerstandskämpfers in der Adenauer Ära wich einem sich öffnen für alle, die plötzlich Interesse an seinem Lebensweg hatten. Er hat den jungen Aktivisten im Emsland geholfen, die Gedenkstätte für das ehemalige Straflager, in dem auch er eingesessen hatte, zu entwickeln. Und dann wurde Brandt Kanzler. Brandt war auch im Widerstand und er war voller Bewunderung für dessen Kontakte. Die Wahl Brandts hat ihn mit der Republik versöhnt.  Das wirkte sich auf sein künstlerisches Schaffen aus. Seine Bilder wurden farbig und offener. Und er war sehr produktiv. Ich glaube nicht, dass er meine Mutter dabei mitgenommen hat, weil er sicher Probleme hatte, diesen Wandel emotional zu erklären – er fand in seinem Engagement im Emsland und in seinen Bildern statt und in seinem Inneren. Die Distanz, die er beispielsweise zu mir hatte, war nicht aufgehoben. Im Straflager und im Widerstand ist man auf sich alleine angewiesen und wird zum Einzelgänger. So deute ich das. Ich habe nie gefühlt, wie er mein politisches Engagement sieht. Er war als alter Trotzkist nicht Freund der SPD. Obwohl er ihr kurzzeitig nach dem Krieg angehört hatte. Und nach den nationalistischen (!) Tönen Schumachers wieder ausgetreten ist. Aber für wen sollte er sein? Mal erst recht nicht für die Linke. Er hielt Stalin für einen Verräter an den Ideen der Internationale. Und die damalige Linke war für ihn nichts anderes als die Handlangertruppe der KPDSU. Klar war er gegen von den USA der Reagan-Administration gewünschte Raketenstationierung (da gibt es ein Bild). Und aufgrund seiner positiven Gefangenschaftserfahrung war er zwar gut auf die USA zu sprechen, aber nicht auf deren Politik. Aber hier zeigte sich für mich die Perspektivlosigkeit einer historischen Erfahrung der Menschen, die Orientierung verloren hatten oder deren Orientierung keine politische Chance mehr hatte. Dazu gehörte auch mein Vater. Ich habe unter seiner Distanz zu mir sehr gelitten, sie aber verstanden,  und ich habe von meiner Mutter mehr Unterstützung erhalten als von ihm (sie ist später in die SPD eingetreten, ihre ersten politischen Erfahrungen hatte sie in der GVP von Heinemann/Rau gesammelt). Ihr Engagement war zukunftsorientiert, seins beladen mit Retrospektive. Was die Politik angeht. Persönlich habe ich sein Aufblühen, wenn er aus Papenburg von Gesprächen zurück kam, mitbekommen und es hat mich gefreut. Dies war die Genugtuung, die er erfuhr und ihm eine persönliche Zufriedenheit verschaffte. Was unser Verhältnis angeht hatte er in der Zeit bis 1965 zuviel Distanz entstehen lassen, als dass eine neue Nähe hätte entstehen können. Was meinen Respekt für seinen Mut nicht mildert.

Ernst Martin Walsken